Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf zutreffende Bemessung der Vergütung. Rechtmäßigkeit einer Herabgruppierung durch den Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
1. Der Vergütungsanspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds kann sich sowohl aus § 37 Abs. 4 BetrVG (Vergleichsgruppe) als auch aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG (hypothetische Sonderkarriere) ergeben. In beiden Fällen trägt das Betriebsratsmitglied grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der anspruchsbegründenden Tatsachen.
2. Entschließt sich der Arbeitgeber, das Betriebsratsmitglied zukünftig geringer bzw. nach einer niedrigeren Entgeltgruppe als bisher zu vergüten, hängt die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast davon ab, ob das Betriebsratsmitglied ein schutzwürdiges Vertrauen entwickeln konnte, zu Recht nach der bisherigen Entgeltgruppe vergütet zu werden.
3. Wirken Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied bei der Festlegung einer unangemessen hohen Vergütung kollusiv zusammen, führen sie also in gegenseitigem Einvernehmen wissentlich eine ungerechtfertigte Begünstigung des Betriebsratsmitgliedes herbei, kann sich ein schützenswertes Vertrauen des Betriebsratsmitgliedes nicht entwickeln. Gleiches gilt, wenn es sich dem Betriebsratsmitglied geradezu aufdrängen muss, dass die ihm seitens des Arbeitgebers zugebilligte Entgeltgruppe weder über eine Vergleichsgruppenbildung noch im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere gerechtfertigt werden kann und es somit sachwidrig begünstigt.
4. In allen anderen Fällen entwickelt das Betriebsratsmitglied ein schützenswertes Vertrauen darauf, dass seine Eingruppierung in rechtmäßiger Weise erfolgt ist und auch zukünftig Bestand haben wird. Weiterer Voraussetzungen, etwa des arbeitgeberseitigen Nachweises, wie die Vergleichsgruppenbildung im Einzelnen erfolgt ist, oder einer Dokumentation, welche genaue hypothetische Sonderkarriere der Eingruppierung zugrunde gelegt wurde, bedarf es dazu nicht.
5. Ein Betriebsratsmitglied, das darauf vertrauen darf, dass seine Eingruppierung zutrifft, hat keinen Anlass dazu, Unterlagen anzulegen, die dazu geeignet sind, die Rechtmäßigkeit der Eingruppierung zu dokumentieren. Diesem Umstand ist durch eine weitgehende, wenn auch nicht vollständige, Umkehr der Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen.
6. Beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass sich die von ihm in der Vergangenheit an das Betriebsratsmitglied gezahlte Vergütung nicht aufgrund einer Vergleichsgruppenbildung rechtfertigen lasse, so hat er substantiiert dazu vorzutragen, nach welchen Kriterien eine Vergleichsgruppenbildung seines Erachtens richtigerweise vorzunehmen ist, welche Arbeitnehmer mit welchen rechtlich relevanten Daten der Vergleichsgruppe angehören und wie sich deren berufliche Entwicklung gestaltet hat. Hat der Arbeitgeber eine solche nachvollziehbare und den Erfordernissen des § 37 Abs. 4 BetrVG genügende Vergleichsgruppenbildung substantiiert ins Verfahren eingeführt, obliegt es dem Betriebsratsmitglied, hiergegen seinerseits substantiierte Einwendungen zu erheben, die geeignet sind, erhebliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Vergleichsgruppenbildung zu wecken. Alternativ steht es dem Betriebsratsmitglied offen, eine eigene Vergleichsgruppe zu bilden und hierzu ins Einzelne gehende Darlegungen zu tätigen, aus denen sich eine Rechtfertigung der bisher gezahlten Vergütung ableiten lässt.
7. Hat der Arbeitgeber im Wege einer den obigen Anforderungen genügenden Vergleichsgruppenbildung seine abweichende Eingruppierung hinreichend begründet, kann er sich im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere des Betriebsratsmitgliedes grundsätzlich zunächst auf einfaches Bestreiten beschränken. Es ist dann zunächst Aufgabe des Betriebsratsmitgliedes, bei dem Arbeitgeber eingerichtete Stellen zu benennen, für die es qualifiziert zu sein glaubt. Weiter hat das Betriebsratsmitglied auch zu seinen Qualifikationen und Fähigkeiten vorzutragen, die es für die betreffenden Stellen aus seiner Sicht geeignet erscheinen lassen. Im Anschluss hieran obliegt es dem Arbeitgeber, Gegenvortrag zu leisten und substantiiert darzulegen und ggf. auch zu beweisen, dass die behauptete hypothetische Sonderkarriere nicht stattgefunden hätte. Dazu kann er entweder nachweisen, dass das Betriebsratsmitglied für die von ihm genannten Stellen nicht hinreichend qualifiziert ist, oder umfassend darlegen, dass Stellen der vom Betriebsratsmitglied benannten Art im gegenständlichen Zeitraum bei ihm nicht zu besetzen waren.
Normenkette
BetrVG §§ 37, 37 Abs. 4, § 78 S. 2; BGB § § 134, 611a Abs. 2, § 611a
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 19.09.2023; Aktenzeichen 2 Ca 130/23) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 19.09.2023 - 2 Ca 130/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch zweitinstanzlich weiter um die zutreffende Bemessung ...