Cybermobbing: Sensibilisierung für Mobbing im digitalen Raum

Stellen Sie sich vor, Sie öffnen morgens Ihre E-Mails oder Messenger-Kanäle und werden dort beleidigt, ausgegrenzt oder gedemütigt – und das nicht einmal, sondern regel­mäßig. Was wie ein Albtraum klingt, ist für einige Beschäftigte traurige Realität: Mobbing im Digitalen. Ein Beitrag zur Sensibilisierung von HR.

Willkommen im digitalen Zeitalter – willkommen in der Arbeitswelt 4.0, wo Zusammenarbeit online stattfindet und E-Mails sowie Chats die klassischen Bürowelten verdrängt oder zumindest ergänzt haben. Allerdings: Diese digitale Welt bietet nicht nur Chancen, sie hat auch Schattenseiten. Eine davon soll hier im Fokus stehen: Cybermobbing. 

Arbeit 4.0 – die dunkle Seite

Zunächst zum Begriff: In der Fachliteratur "workplace cyberbullying" genannt, bezeichnet Cybermobbing systematische, wiederholte und absichtliche soziale Angriffe auf Beschäftigte, ausgeführt mittels digitaler Kommunikationsmittel. Täter nutzen dabei gerne die Reichweite (und teils auch Anonymität) digitaler Plattformen, um Kolleginnen und Kollegen gezielt zu diffamieren, auszuschließen oder herabzusetzen. 

Eine aktuelle, repräsentative Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) mit rund 5.000 abhängig Beschäftigten aus dem Februar 2025 zeigt: Insgesamt 6,5 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich innerhalb der letzten sechs Monate mindestens wöchentlich durch Kollegium und/oder Vorgesetzte zu Unrecht kritisiert, schikaniert oder vor anderen bloßgestellt gefühlt haben. Eine Differenzierung nach Mobbing in und außerhalb des Cyberspace wird allerdings nicht vorgenommen. Aufschluss gibt hierzu eine ältere und kleinere Studie des "Bündnis gegen Cybermobbing e.V." aus dem Jahr 2021. Für die zweitausend 18- bis 65-jährigen Befragten in Deutschland, davon 70 Prozent berufstätig, zeigt sich speziell für das Auftreten von Cybermobbing: 11,5 Prozent aller Befragten waren bereits Opfer (Serviceberufe führen mit 16 Prozent das Feld an). Unabhängig von der konkreten Verbreitung: Cybermobbing ist gefährlich und schädlich – sowohl für jede einzelne betroffene Person als auch für die gesamte Organisation.

Was Mobbing im digitalen Raum ausmacht

Doch warum agieren Menschen überhaupt so am Arbeitsplatz? Zunächst zeigen sich ähnliche Muster wie bei Mobbing im Analogen. Zentral ist unter anderem ein Machtungleichgewicht zwischen Täter und Opfer. Im digitalen Raum jedoch entstehen neue Hierarchien, geprägt durch Kommunikationsmacht und technologische Kompetenz. Wer sich hier geschickt positioniert, kann über Social Media, Messenger-Dienste oder interne Kommunikationskanäle effektiv Druck ausüben.

Hinzu kommen soziale Faktoren: Ein schlechtes Betriebsklima, das Fehlen klarer Richtlinien, mangelnde soziale Kontrolle und der zunehmende Arbeitsdruck bereiten den Boden für derartige Attacken. Aber auch die Anonymität spielt eine entscheidende Rolle spezifisch für Mobbing im Digitalen: Wer andere nicht direkt ansehen muss, greift schneller zu beleidigenden oder aggressiven Äußerungen. Hinzu kommt die Verantwortung der Führungskräfte und HR-Abteilungen, die teils tatenlos zusehen oder das Problem nicht ernst nehmen. Hier zeigt sich, dass eine lasche Haltung sowie fehlende Sanktionen das Risiko für Mobbing jeder Form enorm steigern.

Cybermobbing: Folgen für Belegschaft und Organisation 

Jenseits solitärer Schicksale kann hier durchaus von digitalem Kollateralschaden gesprochen werden. Die Folgen sind tiefgreifend und reichen weit über die Einzelperson hinaus. Betroffene Beschäftigte leiden unter Stress und Angstzuständen sowie Depressionen bis hin zu Suizidgedanken. Digitale Übergriffe finden rund um die Uhr statt und greifen damit tief ins Privatleben der Opfer ein, sodass psychische Belastungen kaum noch zu bewältigen sind. Auch physische Symptome wie Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme oder psychosomatische Erkrankungen sind häufig die Folge. Cybermobbing raubt nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern letztlich auch die Fähigkeit zur produktiven Arbeit.

Organisational gesehen sind die Konsequenzen entsprechend gravierend: Produktivität und Leistungsbereitschaft sinken, Fehlzeiten und Krankmeldungen nehmen zu. Nicht zuletzt steigt die Fluktuation, da viele Betroffene ihrem Arbeitgeber irgendwann aus nachvollziehbaren Gründen den Rücken kehren. Sobald Fälle öffentlich bekannt und eventuell auch auszugsweise in Form von Screenshots geteilt werden, leidet zudem massiv das Image der Organisation – ein Schaden, der in der digitalen Welt rasch weitreichend und dauerhaft sein kann.

Prävention und Intervention durch HR

Insbesondere für HR Professionals in ihrer Schlüsselfunktion gilt: Wegschauen ist keine Option. HR muss eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung von Cybermobbing einnehmen. Was konkret ist zu tun? 

Zunächst bedarf es klarer und verbindlicher Anti-Cybermobbing-Richtlinien. Diese sollten definieren, was als Cybermobbing gilt, und welche Verhaltensweisen explizit verboten sind. Entscheidend dabei: Konsequenzen müssen klar formuliert und stringent durchgesetzt werden. Richtlinien alleine reichen jedoch nicht aus. Kommunikation ist der Schlüssel: Beschäftigte müssen proaktiv über diese Richtlinien informiert und regelmäßig geschult werden. HR-Abteilungen sind aufgefordert, kontinuierlich Angebote zu machen, die für das Thema sensibilisieren.

Ebenso zentral ist die Einrichtung sicherer, vertraulicher und leicht zugänglicher Meldekanäle. Niemand darf Angst haben, Fälle von Cybermobbing im Unternehmen offen anzusprechen. Die HR-Abteilung muss hierbei Neutralität garantieren, Vertrauen schaffen und Opfer nachhaltig unterstützen – sowohl durch psychosoziale Betreuung als auch durch praktische Interventionen wie zum Beispiel Mediationen.

Zudem spielt Prävention eine entscheidende Rolle: Das betriebliche Klima muss so gestaltet werden, dass Cybermobbing keinen Nährboden findet. Hier kommt den Führungskräften eine Schlüsselrolle zu: Sie sollten nicht nur geschult werden, sondern auch ihrer Vorbildfunktion gerecht werden. Respektvoller Umgang und digitale Fairness müssen von oben vorgelebt werden. HR sollte zudem die soziale Kompetenz aller Mitarbeiter fördern und bewusst eine Kultur pflegen, in der Ausgrenzung und Aggression absolut tabu sind.

Cybermobbing: Zehn Möglichkeiten für Prävention und Intervention

1. Klare Definitionen und Richtlinien schaffen:
Definieren Sie Cybermobbing klar und verbindlich in internen Richtlinien. Jeder Mitarbeitende muss verstehen, welche Verhaltensweisen unzulässig sind.

2. Null-Toleranz-Politik konsequent durchsetzen:
Kommunizieren Sie eindeutig, dass Cybermobbing nicht toleriert wird und handeln Sie konsequent und transparent bei Verstößen – unabhängig von Hierarchie oder Position.

3. Regelmäßige Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen durchführen:
Veranstalten Sie verpflichtende, regelmäßige Workshops zur Sensibilisierung aller Mitarbeitenden und Führungskräfte, um Prävention aktiv zu fördern.

4. Vertrauliche Meldewege einrichten:
Etablieren Sie sichere und niedrigschwellige Meldekanäle, in denen Betroffene ohne Angst vor negativen Folgen Vorfälle melden können.

5. HR als vertrauenswürdige Anlaufstelle stärken:
Bauen Sie Vertrauen auf, indem Sie Fälle diskret, empathisch und professionell behandeln und sicherstellen, dass Opfer Unterstützung und Gehör finden.

6. Konfliktmanagement professionalisieren:
Implementieren Sie effektive Prozesse zur schnellen und professionellen Konfliktklärung, einschließlich Mediation und gezielter Intervention.

7. Unterstützungsangebote aktiv bereitstellen:
Stellen Sie psychosoziale und psychologische Unterstützungsangebote bereit, die allen Mitarbeitenden bekannt sind und unkompliziert in Anspruch genommen werden können.

8. Führungskräfte in Verantwortung nehmen und schulen:
Sensibilisieren Sie Führungskräfte, Cybermobbing frühzeitig zu erkennen, klar dagegen Stellung zu beziehen und im eigenen Verhalten Vorbild zu sein.

9. Positives Betriebsklima bewusst fördern:
Setzen Sie auf eine Organisationskultur der Wertschätzung, Transparenz und gegenseitigen Achtung, um den Nährboden für Cybermobbing zu entziehen.

10. Kontinuierliche Evaluierung und Anpassung der Maßnahmen vornehmen:
Überprüfen und aktualisieren Sie Ihre Präventions- und Interventionsstrategien regelmäßig und beziehen Sie dabei Mitarbeitenden-Feedback sowie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse ein.

HR muss Verantwortung übernehmen

Cybermobbing ist ein Gift, das Teams und Organisationen von innen heraus zerstört und gleichzeitig noch immer als Phänomen von vielen unterschätzt wird. Nun trägt HR bekannterweise schon viele verschiedene Hüte. Doch spätestens seit der Aufnahme der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen im rechtlichen Pflichtenkanon vor mehr als zehn Jahren muss HR auch hier Verantwortung übernehmen. Investitionen in klare Richtlinien, intensive Schulungen, psychologische Unterstützungsangebote und eine aktive Förderung eines respektvollen Betriebsklimas zahlen sich langfristig aus. 

Zukünftig muss der Kampf gegen Cybermobbing ein integraler Bestandteil jeder HR-Strategie sein. Dazu gehört im Zweifel auch, neue und skalierbare sowie somit kostengünstige Technologien und innovative Präventionsansätze wie etwa Virtual-Reality-basierte Empathie-Schulungen zu nutzen. Lösungen jeder Art müssen bei einem Thema wie Cybermobbing am Ende die komplette Belegschaft erreichen und dürfen nicht nur Kür für bestimmte Management-Level oder Gehaltsbänder sein. In Zeiten zunehmender digitaler Vernetzung wird eine Kultur, die Respekt, Empathie und Fairness in den Mittelpunkt stellt, zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

HR-Abteilungen, die hier konsequent handeln, übernehmen nicht nur soziale Verantwortung, sondern stärken nachhaltig die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der gesamten Organisation. Cybermobbing zu bekämpfen ist daher nicht nur menschlich geboten, sondern auch strategisch klug.


Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 6/2025. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.


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Weiterführende Literatur:

Workplace Cyberbullying: A Systematic Literature Review on its Definition, Theories, and the Role of HRD, https://doi.org/ 10.1080/23311975.2024.2408443

Workplace Cyberbullying: Nature, Characteristics, and Implications, https://doi. org/10.1177/0193841X241304293

HRM’s Response to Workplace Bullying: Complacent, Complicit and Compounding, https://link.springer.com/article/ 10.1007/s10551-024-05755-3

Repräsentative Studie zum Thema Mobbing in der Arbeitswelt in der Bundesrepublik Deutschland des BMAS,
https://www.publikationen-bundesregierung. de/pp-de/publikationssuche/studiemobbing- 2336374

Mobbing und Cybermobbing bei Erwachsenen – Eine empirische Bestandsaufnahme in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz des Bündnis gegen Cybermobbing e.V., https://buendnis-gegen-cybermobbing.de/wp-content/uploads/2022/03/Mobbingstudie_ Erwachsene_end_2021_fin.pdf