Befangenheitsanträge in Straf- und auch in Zivilrechtsverfahren haben schon so manchen, im fortgeschrittenen Stadium befindlichen Prozess platzen lassen. Über einen etwas skurrilen Fall eines Antrags auf Ablehnung einer Schöffin wegen Befangenheit hatte das LG Oldenburg vor einiger Zeit zu entscheiden.
Staatsanwalt weist Schokoladenpräsent brüsk zurück
Die Verteilung von Süßigkeiten vor Beginn eines Strafverfahrens an die Prozessbeteiligten durch einen Richter dürfte in der Gerichtspraxis eher von Seltenheitswert sein. Im konkreten Fall wollte eine Schöffin - wohl um die bei Strafverfahren häufig etwas beklemmende Atmosphäre im Gerichtssaal etwas aufzulockern - vor Beginn der Hauptverhandlung dem Staatsanwalt einen Marienkäfer aus Schokolade zukommen lassen und legte ihm einen solchen auf den Tisch. Der leicht düpierte Staatsanwalt empfand die freundlich gemeinte Geste als unangemessen und lehnte das angebotene Schokoladenpräsent ab.
Angeklagter befürchtete Befangenheit
Der Angeklagte und sein Verteidiger schlossen aus dem Verhalten der ehrenamtlichen Richterin auf eine besondere Sympathie der Schöffin für die Anklageseite. Der Angeklagte beantragte über seinen Verteidiger, die Schöffin wegen der Besorgnis der Befangenheit von dem Verfahren auszuschließen. Den Antrag begründete der Verteidiger u.a. damit, dass die Protokollführerin ebenfalls in den Genuss eines kleinen Schokoladenpräsents gekommen sei, während die Anklageseite leer ausgegangen sei. Dies zeige eine einseitige Benachteiligung sowohl der Verteidigung als auch des Angeklagten, denen eine solche Zuwendung nicht zuteil wurde.
Schöffin hatte Schokolade auch für den Verteidiger dabei
In ihrer Äußerung zu dem Zurückweisungsantrag erklärte die Schöffin, mit ihrem Schokoladenpräsent keine Bevorzugung einer Seite beabsichtigt zu haben. Auch für den Verteidiger habe sie Schokolade dabei gehabt. Sie habe diesem die Schokolade nur wegen der etwas schroffen Ablehnung des Präsentes durch den Staatsanwalt nicht überreicht. Durch die Reaktion der Staatsanwaltschaft sei ihr klar geworden, dass ihr Verhalten der Situation vor Gericht vielleicht doch nicht ganz angemessen gewesen sei. Allein deshalb habe sie von der Überreichung von Schokolade auch an den Verteidiger abgesehen.
Die objektiven Umstände sprechen nicht für Voreingenommenheit
Die Einlassung der ehrenamtlichen Richterin genügte dem Gericht, um den vom Angeklagten über seinen Verteidiger gestellten Befangenheitsantrag abzulehnen. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters sei immer dann gerechtfertigt, wenn objektive Anhaltspunkte bei verständiger Würdigung aus der Sicht des Angeklagten die Annahme zulassen, der betreffende Richter könne ihm gegenüber voreingenommen sein. Tatsächliche Befangenheit sei dabei nicht erforderlich, es genüge der böse Schein (BGH, Beschluss v. 1.4.2025, 1 StR 434/24). Bei verständiger Würdigung seitens des Angeklagten waren solche objektiven Gesichtspunkte für die Annahme fehlender Unvoreingenommenheit der Schöffin im konkreten Fall nach der Einschätzung des LG nicht gegeben.
Die Schöffin war zugewandt zu allen
Eine Voreingenommenheit der Schöffin folgte nach Auffassung der Kammer schon nicht aus dem eigenen Vorbringen des Angeklagten. Der Verteidiger selbst habe ausgeführt, die Schöffin habe ihm vor der Hauptverhandlung ausgesprochen freundlich und zugewandt angeboten, die Tür zum Sitzungssaal zu öffnen. Die Einlassung der Schöffin, sie habe Schokolade auch für den Verteidiger dabei gehabt, sei glaubhaft. Der Umstand, dass sie dem Verteidiger die Schokolade nicht zeitgleich mit dem Staatsanwalt überreicht habe, sei nicht geeignet, auf eine mögliche Befangenheit der Schöffin zu schließen. Durch ihr Verhalten habe die ehrenamtliche Richterin insgesamt nicht zum Ausdruck gebracht, der Seite des Angeklagten weniger gewogen zu sein als der Staatsanwaltschaft.
Befangenheitsantrag abgelehnt
Vor diesem Hintergrund sah das Gericht die Besorgnis der Befangenheit der Schöffin als nicht gerechtfertigt an und wies den Antrag auf Ablehnung der Schöffin als unbegründet zurück.
(LG Oldenburg, Beschluss v. 24.4.2023, 12 NS 299/22)
Hintergrund:
Schokolade für den Staatsanwalt kommt in der Praxis gar nicht so selten vor. Sowohl das LG Koblenz als auch das LG Flensburg hatten über ähnlich gelagerte Fälle zu entscheiden, in denen ein Schöffe vor Beginn der Hauptverhandlung der Staatsanwaltschaft 2 Schokoladennikoläuse auf den Tisch bzw. die Bank gelegt hatte, während die Anklageseite keine gleichwertigen Präsente erhielt.
Wenn schon Schokolade, dann für alle!
Diese Ungleichbehandlung veranlasste die Gerichte, die Besorgnis der jeweiligen Angeklagten, der betreffende Schöffe sei der Staatsanwaltschaft mehr zugewandt als dem Angeklagten, für begründet zu erachten. In beiden Fällen waren die Befangenheitsanträge erfolgreich (LG Koblenz, Beschluss v. 19.12.2012, 2090 Js 29.752/10 – 12 KLs; LG Flensburg, Beschluss v. 20.1.2021, V KLs 2/19). In sämtlichen Verfahren legten die Gerichte Wert auf die grundsätzliche Feststellung, dass die Verteilung von Süßigkeiten durch Richter zu Beginn eines Strafverfahrens generell unangemessen sei.