Ablehnung einer Videokonferenz wegen hoher Komplexität

Das OLG Stuttgart hat sich in einem ausführlich begründeten Beschluss mit den Voraussetzungen der Ablehnung eines Antrags auf Durchführung einer Gerichtsverhandlung im Zivilprozess per Videokonferenz befasst.
Gesetzliche Regelung der Videoverhandlung
Bürgerfreundlicher, ressourcenschonender, schneller und effektiver sollte die Zivilgerichtsbarkeit durch Einsatz der Videokonferenztechnik werden. Zentrale Norm zur Regelung des Einsatzes der Videotechnik in der Zivilgerichtsbarkeit ist § 128a ZPO. Hiernach entscheidet das Gericht über einen Antrag einer Partei auf Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung unter Einsatz von Videotechnik nach pflichtgemäßem Ermessen. Bei übereinstimmendem Antrag der Parteien soll das Gericht dem Antrag stattgegeben. Die Ablehnung eines solchen Antrags erfolgt durch Gerichtsbeschluss, der begründet werden muss, § 128a Abs. 3 ZPO.
Antrag auf Videoverhandlung abgelehnt
In dem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall hatte die Beklagte die Durchführung einer Videoverhandlung wegen eines Aufenthalts im Ausland beantragt. Der zur Entscheidung berufene Einzelrichter des LG hatte den Antrag aus 3 Gründen abgelehnt:
- Hohe tatsächliche und rechtliche Komplexität des zu entscheidenden Falls,
- hoher Streitwert von deutlich über 1 Mio Euro,
- mangelnde technische Zuverlässigkeit der im konkreten LG verwendeten Video-Technik.
Konkretes Verfahren muss für Videokonferenz geeignet sein
Diese Argumente waren nach Auffassung der Beklagten vorgeschoben. Die Beklagte stellte darauf ein Gesuch, den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Das mit der Sache befasste OLG stellte klar, dass das Gericht den Verfahrensbeteiligten nach der Intention des Gesetzgebers gemäß § 128 Abs. 3 ZPO die Teilnahme per Bild- und Tonübertragung in der Regel gestatten soll. Dies setze aber voraus, dass es sich gemäß § 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO um einen für eine Verhandlung per Videokonferenz geeigneten Fall handelt.
Komplexität ist geeignetes Kriterium für Abwägung der Geeignetheit
Bei der Abwägung der Frage, ob der zur Entscheidung stehende Fall für eine Verhandlung per Videokonferenz geeignet ist, ist nach der Bewertung des OLG die Komplexität des Falls ein geeignetes und sachgerechtes Kriterium. Schwierige Sach- und Rechtsfragen seien häufig besser bei persönlicher Anwesenheit der Beteiligten im gleichen Raum zu erörtern. Auch die nicht unerhebliche Höhe des Gegenstandswerts sei eine sachbezogene und keine sachfremde Erwägung, um die Geeignetheit der anhängigen Rechtssache für eine Verhandlung per Videokonferenz zu beurteilen.
Videotechnik im Gerichtssaal noch nicht überall ausgereift
Den Hinweis des LG auf technische Probleme der am LG verwendeten Videotechnik betrachtete der Senat ebenfalls nicht als sachfremd. Die Formulierung des § 128a Abs. 1 ZPO nehme auch die technischen Rahmenbedingungen der Videokonferenztechnik beim betreffenden Gericht in den Blick. Die Tatsache, dass Videotechnik nicht in allen Fällen und an allen Gerichten einwandfrei funktioniert, könne der Senat aus eigener Erfahrung bestätigen. Ein Rückschluss auf eine fehlende Unvoreingenommenheit des Gerichts könne auch aus diesem Argument des Gerichts für die Ablehnung des Antrags daher nicht gezogen werden.
Kein Anlass für die Besorgnis einer Voreingenommenheit des Gerichts
Nach der Beurteilung des OLG war die Ablehnung des Antrags auf Teilnahme der Beklagten an der Verhandlung per Videotechnik im konkreten Fall daher an sachlichen Argumenten ausgerichtet. Die vom Gericht für die Ablehnung des Antrags angeführten Gründe seien auch aus der Sicht einer verständigen Beklagten nicht geeignet, ihr Vertrauen in die Unparteilichkeit des Gerichts zu erschüttern. Dies gelte umso mehr, als der Vorsitzende bereits zuvor einen Antrag der Klägerpartei auf Durchführung der Verhandlung per Videokonferenz ebenfalls abgelehnt hatte und somit die Beklagte nicht den Eindruck einer Voreingenommenheit des Richters zu ihren Ungunsten hätte haben können.
Ablehnungsgesuch zurückgewiesen
Das Ablehnungsgesuch der Beklagten war auf weitere Gründe gestützt, die beim OLG aber ebenfalls nicht zum Erfolg führten. Das Ablehnungsgesuch hatte somit keinen Erfolg.
(OLG Stuttgart, Beschluss v. 10.3.2025, 3 W 10/25)
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