Die neue Sinus-Studie 2025 „Einstellungen der deutschen Bevölkerung zu Umwelt- und Klimaschutz sowie zur politischen Teilhabe“ ist mehr als nur eine soziokulturelle Standortbestimmung – sie ist ein Weckruf für Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft: Wer Nachhaltigkeit voranbringen will, muss die psychografische Landkarte der Menschen kennen. Denn Klimaziele werden nicht im Bundeshaushalt erreicht, sondern in den Lebenswelten der Menschen.
Milieu statt Zielgruppe: Wer tickt wie – und warum das zählt
Die Studie zeigt klar: Nachhaltigkeit ist kein Nischenthema mehr. So weit, so gut. Doch wie sie gelebt, verstanden oder auch abgelehnt wird, hängt stark vom jeweiligen Milieu ab. Die Adaptiv-Pragmatische Mitte etwa wünscht sich eine lebensnahe, einfache Nachhaltigkeit – möglichst ohne Verzichtsgefühl. Die Neo-Ökologischen hingegen verbinden ökologisches Bewusstsein mit gesellschaftlichem Gestaltungswillen und moralischer Ambition. Und genau hier liegt der strategische Hebel: Transformation gelingt nicht mit Gießkannenkommunikation, sondern mit differenzierter Ansprache und echter Relevanz für die Lebenswelten von Menschen.
Moralische Ambition trifft auf transformative Resilienz
Besonders spannend ist, was die Studie über die „transformative Resilienz“ der Gesellschaft verrät: die Fähigkeit, trotz multipler Krisen handlungsfähig zu bleiben – und neue Möglichkeitsräume zu gestalten. Es sind nicht unbedingt die lautesten Milieus, die dabei vorangehen. Es sind oft jene, die Sinn, Wirksamkeit und Zugehörigkeit miteinander verbinden. Die Studie verdeutlicht: Wer Nachhaltigkeit nicht als Verzicht, sondern als Aufbruch kommuniziert, trifft auf Resonanz. Menschen wollen Teil der Lösung sein – aber auf Augenhöhe, nicht belehrt.
Wirtschaft muss den Wandel beweisen
Was heißt das für Unternehmen und Marken? Wer Nachhaltigkeit glaubwürdig verankern will, muss tiefer gehen. Es reicht nicht, nur CO₂-neutral zu sein. Es geht darum, sich als Akteur in einer neuen Kultur des Wirtschaftens zu begreifen – als Möglichkeitsraum für eine lebenswerte Zukunft. Die Sinus-Studie liefert dafür einen wertvollen Kompass: Welche Werte und Haltungen prägen meine Zielgruppen? Wo liegen die Brüche, die Sehnsüchte, die Zukunftsbilder?
Deutlich wird: Nachhaltigkeit wird dann wirksam, wenn sie anschlussfähig ist. Quer über alle Mileus glauben nur 31 Prozent, dass der wirtschaftliche Wohlstand erhalten bleibt. Das ist eine klare Ansage an die Wirtschaft, ihre ESG-Aktivitäten viel ernsthafter unter Beweis zu stellen, um das Vertrauen der Gesellschaft mehr und mehr zu gewinnen. Einerseits gibt es großartige Vorbilder des nachhaltigen und regenerativen Wirtschaftens, die zeigen, wie das Potenzial genutzt werden kann. Andererseits sind die Unternehmen, die zu wenig Verantwortung übernehmen, noch in der Mehrzahl und prägen dieses Bild. Es gibt keine Ausreden: für keinen Vorstand, Inhaber oder Geschäftsführer, Omnibus Debatte hin oder her. Es heißt Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft zu übernehmen und diese wird nur über eine regenerative Wirtschaft gelingen.
Re:thinking Sustainability Talks |
Die „Re:thinking Sustainability Talks“ stellen praxisorientierte Ansätze für eine zukunftsfähige Wirtschaft vor, die ökologische, ökonomische und soziale Ressourcen stets im Blick behält. Taucht mit Katharina Reuter, den Autor:innen des Buchs „Re:thinking Sustainability“ Anne-Kathrin Vorwald und Stephan Grabmeier sowie Pionier:innen der regenerativen Wirtschaft ein in die Welt gelungener Transformation. Mit dabei sind u.a. die BNW-Mitgliedsunternehmen: RECUP, Werner & Mertz, Ratisbona, Weleda, followfood, elobau und Haniel. Die Talk-Reihe wird unterstützt von Haufe. Der nächste Talk findet am 30. April statt! |
Vom Footprint zur Impact-Ökonomie
Ein Begriff, der sich quer durch die Milieus beobachten lässt: die Sehnsucht nach Wirksamkeit. Der Wunsch, nicht nur weniger falsch zu machen, sondern mehr richtig. Dieses Denken passt perfekt zum Konzept der Impact-Ökonomie – einer Ökonomie, die nicht primär ihren negativen Fußabdruck minimiert, sondern ihren positiven Handabdruck maximiert. Die Sinus-Studie zeigt: Für viele Menschen wird genau das zum zentralen Narrativ der Nachhaltigkeit.
Selbstwirksamkeit von Menschen wird zu wenig anerkannt
Eine Aussage bringt es auf den Punkt: „Ich habe das Gefühl, dass meine persönliche Meinung in der Klimadebatte keinen Unterschied macht.“ Diese Aussage wird über alle Milieus zu 49 Prozent bejaht. Das ist ein Schlag in die Magengrube derjenigen, die sich einsetzen für mehr Wirkung im Klimawandel. Doch wenn Selbstwirksamkeit nicht geschätzt und gewürdigt wird, verpufft diese Energie. Die Gefahr ist dabei, dass sie in Resignation umschlägt.
Genau deshalb brauchen wir neue Einbindungen, eine Übersetzungskompetenz: eine, die die kulturellen Codes versteht, emotionale Anschlussfähigkeit schafft und Menschen, die wirksam werden wollen, integriert in Maßnahmen und Entwicklungen.
Auch die Gesellschaft hat Hausaufgaben zu machen
Neben der politischen und wirtschaftlichen Perspektive geht aus der Studie auch hervor, dass die Gesellschaft – also jede und jeder einzelne von uns – seine Hausaufgaben hat. Es wird sichtbar, dass über alle Milieus hinweg erwartet wird, dass sich möglichst wenig am eigenen Leben ändert. „Bitte alles nur in ganz kleinen Schritten“: 40 Prozent. Die Bereitschaft höhere Steuern zu zahlen liegt bei nur 12 Prozent. Zu Investitionen in nachhaltigere Technologien sind 23 Prozent bereit und höhere Ausgaben für qualitativer hochwertigere Lebensmittel würden 35 Prozent der Befragten tragen. Hier lohnt der genaue Blick in einzelne Milieus, dennoch wird klar: Wir müssen weg von dem Glauben, dass sich nichts für den Einzelnen ändert. Im Gegenteil: Die Politik muss eine radikalere Form der Transformation und damit verbundene Ehrlichkeit einschlagen. Transformation bedeutet: jede:r muss sich ändern. Und das ist gut so. Hin zum besseren, zu einer lebenswerten Zukunft für uns und unsere Kinder und Enkelkinder. Da wird Veränderung zum positiven Paradigma des Aufbruchs und nicht des Verzichts.
Fazit: Nachhaltigkeit muss übersetzt werden – in Sinn, Alltag und Haltung
Die große Stärke der Sinus-Studie liegt in ihrer Tiefenschärfe: Sie macht sichtbar, dass Nachhaltigkeit nicht gleich Nachhaltigkeit ist. Sie ist Wertehaltung, Alltagskultur, manchmal Lifestyle, manchmal Widerstand. Wer sie ernst nimmt, muss bereit sein, komplexer zu denken – und menschenzentrierter zu handeln. Transformation beginnt nicht mit rein kognitiven Strategiepapieren, sondern mit Empathie für die Vielfalt der Lebensrealitäten. Erst wenn wir diese verstehen lernen, gelingt uns gesellschaftliche Transformation.
Die Studie ist vom Sinus Institut gemeinsam mit dem Verein heimatwurzeln aus Bonn entstanden und steht hier zum Download zur Verfügung.