Warum E-Learning und Lernkultur zusammengehören

Nicht erst seit der Coronapandemie ist klar, dass E-Learning mehr ist als die günstigere Variante von Präsenzseminaren. Doch allein die Bereitstellung im Learning-Management-System reicht nicht aus, um Mitarbeitende zum digitalen Lernen zu bringen. Es braucht auch eine passende Lernkultur.

Dann also raus mit dem Rotstift. Weiterbildung steht auf der Streichliste der Geschäftsführungen. Präsenzseminare mitsamt der Reisekosten sind zu teuer – aber zum Glück gibt es ja noch die digitale Lernplattform. 

So denkt auch Musterfrau Schmitt-Zahm, HR-Leiterin in einem mittelständischen Unternehmen. Sie hat – so ihre Ansicht – vorausschauend gehandelt, als sie vor einem dreiviertel Jahr eine digitale Lernplattform angeschafft hat. Auf die damalige Ankündigung im Intranet kam zwar wenig Reaktion. Aber jetzt, wo die Präsenztrainings wegfallen, wird das Team sicher automatisch auf das digitale Angebot wechseln. Sicherheitshalber schreibt sie noch eine Erinnerung ins Intranet. Doch als sie Wochen später die Nutzungszahlen prüft: Ernüchterung. Kaum jemand hat sich eingeloggt. Die Plattform steht – aber genutzt wird sie nicht.

Mit dieser Herausforderung ist Schmitt-Zahm nicht allein. HR- und People-Verantwortliche erleben derzeit einerseits knappere Budgets, unter denen sie für die bestmögliche Weiterbildung sorgen sollen. Andererseits ist das Arbeitsumfeld nicht überall bereits auf ein "Growth Mindset" gepolt, sodass Weiterbildung eher als notwendiges Übel betrachtet wird. Beides sind zentrale Gründe, um die Lernkultur im Unternehmen in den Blick zu nehmen und zu verbessern.

Lernkultur schlägt Tools

Ohne eine starke Lernkultur bleiben selbst die neuesten und besten Tools und Angebote wirkungslos. Andersrum gilt: Gibt es eine starke Lernkultur im Unternehmen, lassen sich auch vergleichsweise günstige und flexible Angebote wirksam einsetzen. Lernkultur ist das Fundament, auf dem Weiterbildungsprogramme aufbauen. Ohne eine Kultur, die Lernen und Wissen schätzt, laufen die Maßnahmen zur Stärkung der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen ins Leere. Aus didaktischer und organisatorischer Sicht gibt es vier zentrale Hebel, um digitales Lernen im Unternehmen zu verankern – trotz oder gerade wegen der Budgeteinsparungen. 

1. Hebel: Warum Bereitstellen nicht reicht

Lernplattformen wie LMS, LXP oder Microlearning-Tools sind in einigen Unternehmen ein fester Bestandteil. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie sind skalierbar, flexibel und ortsunabhängig nutzbar. Doch in der Praxis bleiben sie oft ungenutzt.

Ein häufiger Grund dafür ist die fehlende Zeit. Wenn Lernen als zusätzliche Aufgabe betrachtet wird und kein festes Zeitfenster dafür eingeplant ist, wird es im Tagesgeschäft schnell verdrängt. Auch der wahrgenommene Nutzen spielt eine große Rolle: Mitarbeitende beschäftigen sich nur dann mit Inhalten, wenn sie für ihren Arbeitsalltag relevant erscheinen. Es braucht eine intrinsische – also egoistische – Motivation; etwa eine Aufgabe schneller abschließen zu können oder weniger nach Feierabend über den Job zu grübeln.

Zudem fehlt es oft an Anreizen und Wertschätzung für Weiterbildung. Lernen findet zu oft im Verborgenen statt und (Lern-)Erfolge werden zu wenig sichtbar gemacht.
Lösungsansätze hierfür gibt es, etwa feste Lernzeiten in Form von regelmäßigen Lern-Sprints oder Zeitfenstern im Kalender. Statt quartalsweise tagesfüllende Seminare zu besuchen, lassen sich oftmals kleine tägliche Lerneinheiten, sogenanntes "Microlearning", besser in die Arbeit integrieren.

2. Hebel: Das Ziel in der Weiterbildungsstrategie ist wichtiger als der Distributionsweg 

Wer würde denn heute noch sagen, dass Netflix "billiger" ist als Kino, nur weil es digital verfügbar ist? Nur, weil etwas digital daherkommt, ist es nicht billig – weder in der Anschaffung noch in der Aufmachung. Digital kann genauso Unterhaltsames oder Wissenswertes vermittelt werden wie analog. Der Distributionsweg ist dafür weniger entscheidend als das eigentliche Produkt. Sich dessen bewusst zu sein, ist essenziell, um Weiterbildung strategisch zu planen. 

Lösen wir also die Qualitätsdebatte vom Distributionsweg und halten fest: Eine gute Lernkultur im Unternehmen schaut weniger auf den Vermittlungsweg, sondern auf das Resultat. Wenn Mitarbeiterin X ihr Wissen durch ein Buch am besten aufbaut, Mitarbeiterin Y durch eine App und Mitarbeiter Z durch ein Seminar, sind das alles probate Wege. Gute Produkte als Distributionswege bereiten ihre Inhalte dem Medium entsprechend auf und verwenden viel Energie darauf, dass sie in ihrem Kontext funktionieren. 

Natürlich gibt es jeweils Argumente für bestimmte Angebote; ein Erste-Hilfe-Kurs mit Wiederbelebungsübung hat in Präsenz deutliche Vorteile durch die praktische Anwendung. Gleichzeitig bieten digitale Formate andere Stärken: Sie machen Lernen ortsunabhängig, ermöglichen eine individuelle Lerngeschwindigkeit und eröffnen neue Möglichkeiten zur Erfolgsmessung.

In einer strategisch geplanten Lernkultur geht es darum, Weiterbildungsmaßnahmen so einzusetzen, dass sie für das Unternehmen und die Mitarbeitenden den größten Mehrwert bringen. Digitale Tools bieten dabei nicht nur eine flexible Alternative, sondern ermöglichen zusätzlich eine datenbasierte Analyse der Lernbereitschaft und -akzeptanz.

Aus dem Nähkästchen eines digitalen Tool-Entwicklers geplaudert: Parameter wie die "Completion Rate" (Wie viele Übungen sind tatsächlich finalisiert worden?) oder gar die "Stickiness Rate" (Wie viele Mitarbeitende, die monatlich aktiv sind, nutzen das Tool täglich?) sagen viel über die Akzeptanz eines Lerntools und die Bereitschaft zum Lernen im Unternehmen aus. Wer Weiterbildung strategisch plant, sollte deshalb nicht nur den Lernkanal wählen, sondern auch regelmäßig prüfen, welche Formate im Unternehmen tatsächlich genutzt und geschätzt werden.

3. Hebel: Wissen aufbauen allein reicht nicht

Egal ob Präsenzkurs, digitale Tools oder Blended Learning: Ohne Bezug zum Arbeitsalltag bleibt Wissen abstrakt und wird schnell vergessen. Lernen ist nur dann nachhaltig, wenn es angewendet wird. Personalisierung und Übungspraxis gehen dabei Hand in Hand.

Beispiel Künstliche Intelligenz: Wer sein Team in einem Seminar lernen lässt, was einen guten "Prompt" ausmacht, schlaut es zwar auf. Aber wirklich gelernt haben die Mitarbeitenden damit den Umgang mit KI noch lange nicht. Erstens sollte auch die praktische Anwendung – also die Nutzung von Chat GPT, Claude und Co. – Teil der Weiterbildung sein. Zweitens sollte das dann auch möglichst personalisiert erfolgen. Sales-Mitarbeitende müssen ganz andere Prompts beherrschen als die Rechtsabteilung oder das Marketing. Denn auch hier spielt die intrinsische Motivation eine Rolle: Wenn ich bei der Weiterbildung lerne, wie ich persönlich davon profitiere, bin ich offener für die Adaption. Mitarbeitende sollten also entsprechend gezielt die Kompetenzen aufbauen, die für ihre Rolle relevant sind und diese auch anwenden. Das kann als Learning-by-Doing erfolgen, aber auch im geschützten Raum von Simulationen. Auch hier wird uns Künstliche Intelligenz übrigens wohl langfristig unterstützen: Wer künftig etwa lernen möchte, besser Feedback zu geben, wird dies in absehbarer Zeit mit einer KI als Sparringspartner üben können. 

Der nächste Schritt – und ein Zeichen einer gesunden Lernkultur – ist dann auch die Weitergabe von praktischem Wissen. "Peer Learning" und Mentoring-Programme fördern nicht nur das Verständnis, sondern erleichtern auch die Umsetzung in der Praxis. Und ja: Auch der gute alte Blick über die Schulter ist hilfreich; im Digitalen funktioniert das auch beim Teilen des Bildschirms. 

4. Führung und Lernkultur: Der Fisch stinkt vom Kopf

Lernen wird oft als individuelle Aufgabe betrachtet. Doch in Wahrheit ist Weiterbildung eine Frage der Unternehmenskultur – und die wird maßgeblich von Führungskräften geprägt. Wenn Weiterbildung als Forderung von "denen da oben" an "die da unten" betrachtet wird, bleibt sie ineffektiv. Denn erstens braucht lernen eine intrinsische Motivation, das Verordnen von oben bringt nichts. Und zweitens führt der Eindruck, die Führungsriege hätte lernen nicht mehr nötig, zum Zirkelschluss, nicht zu lernen qualifiziere zur Führungskraft. Das ist auf mehreren Ebenen gefährlich für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. 

Führungskräfte sollten also selbst Zeit für Weiterbildung einplanen (und auch darüber sprechen, dass sie es machen). Nur so wird es das Team auch tun. Das sorgt zusätzlich für psychologische Sicherheit: Es ist okay, dass Mitarbeitende die Zeit aufwenden und einen Fachbeitrag zu einem aktuellen Thema lesen, es ist sogar gewünscht. Idealerweise wird diese positive Lernkultur auch mit einer Fehlerkultur verbunden.

Führungskräfte können eine starke Lernkultur etablieren, indem sie Weiterbildung als festen Bestandteil in Zielgespräche integrieren, eigene Lernprozesse sichtbar machen und den Transfer von Wissen aktiv unterstützen. Dabei sollten sie nicht nur formelle Schulungen im Blick haben, sondern auch informelle Lerngelegenheiten nutzen – sei es durch Wissensaustausch im Team oder durch Reflexionsgespräche nach abgeschlossenen Projekten.

Weiterbildung ist mehr als ein Kostenfaktor

Zum Schluss ist festzuhalten: Lernen ist keine Kür – sondern die Basis für Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen, die Weiterbildung nur als Kostenfaktor betrachten, verschenken Potenzial und gefährden ihre Zukunftsfähigkeit. Eine Lernkultur aufzubauen, mag zunächst abstrakt klingen, lässt sich jedoch mit den richtigen Hebeln in Bewegung setzen. Wie jeder Kulturwandel im Unternehmen, wird auch das Zeit kosten. Doch die Motivation fürs Lernen im Team zu wecken, wird mittelfristig Früchte tragen – für Mitarbeitende und das Unternehmen.


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