Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG sind die Absätze 1, 3 und 4 der Norm über die Berichtigung von Einkünften entsprechend anzuwenden, wenn für eine Geschäftsbeziehung im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG die Bedingungen, insbesondere die Verrechnungspreise, die der Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder der Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens steuerlich zugrunde gelegt werden, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch (zum Beispiel) die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert werden.
Sachverhalt: Kapitalgesellschaft ungarischen Rechts hat Betriebsstätte in Deutschland
Der vom BFH zu beurteilende Sachverhalt stellt sich verkürzt folgendermaßen dar:
- Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft ungarischen Rechts, die auf der Grundlage eines Rechtstypenvergleichs einer GmbH deutschen Rechts entspricht.
- Der Sitz und die Geschäftsleitung befinden sich in Ungarn. Sie unterhielt im Streitjahr 2017 in Deutschland eine Betriebsstätte und erbrachte Werkvertragsleistungen (Montageleistungen), denen Dienstleistungsverträge mit zwei Auftraggebern aus dem Jahre 2009 zugrunde lagen. 2020 erfolgte die Gewerbeabmeldung für die inländische Betriebsstätte.
- Das FA folgte im Rahmen des Veranlagungsverfahrens den für das Streitjahr deklarierten Besteuerungsgrundlagen nicht. Vielmehr ging das FA unter Verweis auf § 32 BsGaV hinsichtlich der inländischen Betriebsstätte von einer "Routinebetriebsstätte" aus und ermittelte den Gewinn in der Weise, dass es aus den Betriebsausgaben (Materialaufwand, Personalaufwand und sonstige betriebliche Aufwendungen) unter Ansatz eines Aufschlagsatzes von 10 % einen Gewinn errechnete. Diesen Gewinn legte es dem für das Streitjahr ergangenen Körperschaftsteuerbescheid zugrunde, ebenfalls entsprechend der jeweiligen gewerbesteuerlichen Festsetzung/Feststellung.
Einspruch war nur teilweise erfolgreich
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Mit seiner Einspruchsentscheidung änderte das FA die Bescheide dahingehend ab, dass es den Aufschlagsatz auf 5 % der Personalkosten und sonstigen betrieblichen Aufwendungen reduzierte und somit einen geringeren Jahresüberschuss ansetzte; der Materialaufwand fand keine Berücksichtigung mehr. An der Einschätzung, dass es sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse um eine "Routinebetriebsstätte" gehandelt habe, hielt das FA fest. Die Körperschaftsteuer 2017 setzte es in der Einspruchsentscheidung niedriger fest und den Gewerbesteuermessbetrag 2017 auf 0 EUR herab; im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.
Klage hatte Erfolg
Die dagegen erhobene Klage war erfolgreich. Das FG führte aus, der Anwendungsbereich der einschlägigen Vorschriften des AStG sei nicht eröffnet, weshalb auch eine Anwendung der BsGaV nicht in Betracht komme.
Entscheidung: Keine eigenständige Regelung zur Betriebsstättengewinnermittlung
Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen. Das FA hat die inländischen Einkünfte der in Deutschland belegenen Betriebsstätte der Klägerin zu Unrecht unter Hinweis auf § 1 Abs. 5 AStG neu ermittelt und der Besteuerung zugrunde gelegt hat. Hierzu weisen die Richter des BFH u.a. auf Folgendes hin:
- Zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist eine Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung (§ 1 Abs. 5 Satz 2 AStG).
- Um die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, sind ihr nach § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG in einem ersten Schritt die Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden (Personalfunktionen), die Vermögenswerte des Unternehmens, die sie zur Ausübung der ihr zugeordneten Funktionen benötigt, die Chancen und Risiken des Unternehmens, die sie aufgrund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernimmt, sowie ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital) zuzuordnen.
- Auf der Grundlage dieser Zuordnung sind in einem zweiten Schritt die Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Betriebsstätte und die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehungen zu bestimmen (§ 1 Abs. 5 Satz 4 AStG). Die Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes und dessen einheitliche Anwendung werden in der auf Grundlage des § 1 Abs. 6 AStG ergangenen BsGaV geregelt.
- Geschäftsbeziehungen nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG sind Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen). Relevant sind insoweit ausschließlich tatsächliche Handlungen (sogenannte dealings), das heißt, es muss ein wirtschaftlicher Vorgang, also ein tatsächliches und identifizierbares Ereignis vorliegen, das eine gewisse ökonomische Relevanz hat, sodass fremde Dritte deswegen eine schuldrechtliche Vereinbarung getroffen hätten oder eine Rechtsposition geltend machen würden. Dies wird durch § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG gesetzlich vermutet, wenn der Steuerpflichtige nicht im Einzelfall etwas Anderes nachweist
- Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BsGaV gilt die Mitwirkung einer Bau- und Montagebetriebsstätte an der Erfüllung des vom Bau- und Montageunternehmen abgeschlossenen Bau- und Montagevertrags widerlegbar als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung (im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG), die als Dienstleistung der Bau- und Montagebetriebsstätte gegenüber dem übrigen Unternehmen anzusehen ist. Der Verrechnungspreis für die Dienstleistung ist nach dem Satz 2 der Vorschrift im Regelfall nach einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu bestimmen.
- Nach § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG sind Personalfunktionen "Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden". Dies konkretisiert § 2 Abs. 3 Satz 1 BsGaV als Geschäftstätigkeit, die von eigenem Personal des Unternehmens und für das Unternehmen ausgeübt wird. Nach § 2 Abs. 4 BsGaV ist eigenes Personal jede natürliche Person, die aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmen für das Unternehmen tätig wird.
- Obwohl die Klägerin ihren Steuererklärungen für das Streitjahr eine eigenständige veranlassungsbezogene Gewinnermittlung für ihre inländische Betriebsstätte zugrunde gelegt hat, die bezogen auf Außentransaktionen weiterhin und bezogen auf Innentransaktionen letztlich auch Grundlage für den in § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG angeführten "ersten (Ermittlungs-)Schritt" darstellt, hat das FA diese Ermittlung ohne weitergehende Prüfung auf der Grundlage des § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG und § 32 BsGaV verworfen und den anzusetzenden Gewinn auf Basis der in § 32 Abs. 1 Satz 2 BsGaV geregelten kostenorientierten Verrechnungspreismethode bestimmt.
- Bereits aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG, wonach die Absätze 1, 3 und 4 über die "Berichtigung von Einkünften" entsprechend anzuwenden sind, folgt, dass es sich bei § 1 Abs. 5 AStG um eine Einkünftekorrekturnorm und gerade nicht um eine ‑ systematisch dem Regelungsbereich der §§ 4 ff. EStG zuzuordnende ‑ eigenständige Regelung zur Betriebsstättengewinnermittlung handelt.
- Es handelt sich bei § 1 Abs. 5 AStG gerade nicht um eine Generalvorschrift, nach der bei Bestehen inländischer und ausländischer Betriebsstätten stets eine (Neu-)Aufteilung des Gewinns nach den dort beschriebenen Grundsätzen zu erfolgen hätte. Eine außerbilanzielle Korrektur hat vielmehr (nur) dann zu erfolgen, wenn die tatsächlichen Verhältnisse von den gegenüber fremden Dritten zu erwartenden fiktiven Bedingungen zu Lasten der inländischen Besteuerung abweichen.
- Nach den vorstehenden Ausführungen hat das FG keine Hilfs- und Nebenrechnung nach § 3 BsGaV anfordern und den von der Klägerin eingereichten Jahresabschluss für das Streitjahr unter Beachtung von § 1 Abs. 5 AStG korrigieren müssen. Eine Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO im Zusammenhang mit Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Abs. 4 AStG liegt nicht vor.
Hinweis: Teilweise inhaltsgleiche Parallelentscheidung
Diese Rechtsgrundsätze waren auch tragend für die Entscheidung des BFH in dem am selben Tag entschiedenen Parallelfall I R 49/23.
BFH, Urteil v. 18.12.2024, I R 45/22; veröffentlicht am 8.5.2025
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